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Rewind II

Ich, ziemlich besoffen, beginne eine Nachricht zu tippen. Ich treffe kaum die richtigen Tasten, muss den Text ziemlich oft wieder lesen, löschen und neu schreiben. „Hab ihn beim Ficken verschluckt, aber wenn ich ihn herausscheiße packe ich ihn in ein Kuvert und schicke ihn dir zu.“

Für eine Sekunde fühle ich mich gut. Dann ist die Musik aus und ich fühle mich wieder leer und sinnlos. Ich schwanke zum Cd-player. Ich habe plötzlich Angst, dass ich niemals mehr einen Orgasmus erleben werde. Doch dann stelle ich mir vor, wie ich in Christine abgespritzt habe. Ich rieche ihren feuchten Schlitz und fasse mich wieder. Ich zittere mir ist kalt. Ich schenke mir noch ein Glas Wodka mit Orangensaft ein. Wieder ruft meine Mutter an. Das Telefon läutet noch immer. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass Sonntag ist. Ich spüre, dass mich irgendwas auf den Boden drückt, doch ich kann nicht sagen was. Sehe nach, ob ich noch was von dem Speed hab. Ist aber nichts mehr da. Ich rufe meinen Dealer an. Doch der hebt nicht ab. Ich werfe eine Pille ein und trinke noch was von dem Wodka. Im Vorzimmer liegt ihr bunt geblumter, linker Converse. Ich klopfe an die Klotür, frage sie, ob alles in Ordnung sei, bekomme aber keine Antwort. Warte, weiß nicht wie lange. Stehe da, vor meiner Klotür, nur mit einer Unterhose bekleidet und bin fast am Verzweifeln. Ich sehe mir selber dabei zu, wie ich Ratlos vor der Klotür stehe und auf ein Lebenszeichen warte. Ich denke, dass ich mir selber dabei zusehe, wie ich Ratlos vor der Klotür stehe, und dabei auf ein Lebenszeichen warte. Ich denke, dass gerade in diesem Augenblick irgendjemand irgendjemandem erzählt, dass Ich gerade daran denke, mir selber dabei zuzusehen, wie ich Ratlos vor der Klotür stehend, auf ein Lebenszeichen warte. Er, würde dieser jemand sagen, steht vor der Tür, nur mit einer weißblauen Unterhose bekleidet, legt sein Ohr an die Klotür. Eine durchwegs lächerliche Gestalt gibt er ab, würde dieser jemand sagen. Sie übergibt sich, betätigt die Spülung. Das reicht mir. Sie lebt also noch. Ich gehe wieder ins Wohnzimmer. Meine Wohnung ist mein Stützpunkt, mein Verlies. Aber mein eigentliches Verlies ist viel enger. Mein eigentliches Verlies ist mein Ich. Es gibt für mein Ich keinen Fluchtweg aus meiner Erzählung, versuche ich ihr zu entrinnen, stürze ich schon wieder durch Korridore, die man vorher für mich aufgeschlossen hat. Und was das für ein Schrecken ist, wenn man abgehetzt am Ende der Treibjagd vor einer Tür steht, die einem das eigene Ich unter schallendem Gelächter öffnet. In diesem Spiel entkomme ich mir nicht mehr; kann es nicht! Bin ich als Er, im stetigen Ich gefangen. Habe ich das gerade gedacht, oder legte man es mir gerade in den Mund? Ich versuche nicht an mein Verlies zu denken, aber ich verspüre das Verlies in meinem Denken, naturgemäß, denn es ist mein denken, muss mein Denken immer sein. Ich schenke mir noch einen Wodka ein. Und wie die Flüssigkeit meine Kehle hinunterläuft stelle ich mir vor, dass dabei meinem Text auch einige Zeilen hinzugeführt werden müssen. Ich lauere einem Anfang auf. Stift und Papier liegen geordnet auf meinem Schreibtisch. Die Uhr tickt, der Schweiß steht mir auf der Stirn, aber kein Gedicht hustet in diese Stille hinein. Irgendwo da hinten in der Unordnung meiner Erinnerungen vermute ich es, doch es will sich nicht heraustrauen. Es scheint die Flinte zu spüren, vor die es laufen würde. Ich lenke das kleine Gedicht ab, indem ich noch einen Schluck Wodka zu mir nehme und eine Jim Hendrix CD einlege, während ich ihm etwas von ersten Küssen vorpfeife, denen immer das Drama der möglichen letzen anhaftet. Ich lege schon an, lange kann es nicht mehr dauern, und siehe da: Ein Schuss, ein Treffer, ein paar Tropfen Tinte. Da liegt es: ein totes Gefühlsgerippe aus krakeligen Buchstaben- mein Gedicht!

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