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übung1

Hotelbars sind magische Orte. Melancholisch, melancholisch... Ich sitze an der Bar und höre Musik. Auf dem roten Teppich in der Eingangshalle wälzen sich besoffenen Punks. Manche von ihnen pinkeln in die Blumenstöcke, oder onanieren stark brüllend, mit dem Pathos einer aussterbenden Generation, zur sanften Fahrstuhlmusik in der Hotellobby. Man hat gelernt sie nicht zu beachten, und die Verachtung, die sie für uns empfinden verflüchtigt sich nach dem zweiten Gläschen Schnaps. Wir sind glücklich, denn das Leben ist lebenswert und wird von uns durchlebt Minute für Minute, es gibt nichts daran zu verachten oder gar zu verändern. Alles Denkbare wurde schon gedacht, alles Machbare schon einmal gemacht. Alles Verachtungswürdige wurde auch schon verachtet, alles Achtbare wurde schon geachtet. Es sind nur meine Gedanken, meine bösen Gedanken. Ich soll sollen, will wollen, muss müssen. Ich verinnerliche den Gedanken an die Notwendigkeit des Verinnerlichungsprozesses an sich. Der Gedanke, ich könnte mich im Kreis drehen treibt mir Schweiß auf die Stirn. Ich habe Angst davor Angst zu haben, so wie ich Angst davor habe zu existieren. Das Fleischliche der Wörter ängstigt mich. Kindlich lachend beginne ich den Barkeeper mit Erdnüssen aus der Schale vor mir zu bewerfen. <Flucht in regressives Verhalten als präventives Gesamtkonzept einer verunsicherten Persönlichkeit> analysiert der Barkeeper. Sein baustellenhaftes Gesicht ragt flächig aus dem kaffeebraunen Holzverbau hervor. Meine Begleiterin, eine hochgewachsene Philosophiestudentin, sitzt neben mir auf einem pilzartigen Hocker; formuliert ungelenk, kaut an ihren Nägeln, nippt an ihrem Cocktail, mehr über sie zu erfahren habe ich nicht im Sinn. <Ich will dich lieben wie einen Fuchs>, sage ich zu ihr. Sie streicht sich durchs Haar, lächelt freundlich und flüstert mir ins Ohr <Füchse haben oft Bandwürmer>. <Wie schön, dass wir uns verstehen>, sage ich, ohne den mitschwingenden Ton der Erleichterung unterdrücken zu können.


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