top of page

Szenen, übertrieben...1

„Dein Text beginnt also nicht mit einem Ersten Satz?“ Überlegen lächelnd, ließ sie eine weitere Zigarette im Aschenbecher verschwinden. Sie hielt kurz inne, um ihrer Frage den notwendigen Nachhall zu verleihen. Die Rollen waren verteilt. Das Schaf sollte an die aporetische Schlachtbank geführt werden.

Erst als sie mir eine Selbstgedrehte, die sie bereits angezündet hatte, über den Tisch reichte, durfte ich antworten. So waren die Regeln. Vorerst wollte ich sie beachten.

„Ich weiß nicht, ob…“

„Bevor du mein Verständnis in Frage stellst, solltest du überlegen, ob du selbst noch ganz bei Verstand bist.“ Mit diesem Querschuss hatte ich gerechnet. Nur die Geschwindigkeit, mit der er abgefeuert wurde, die Unterkühltheit im Ton, die Präzision in der Ausführung, ein gewandter Schnitt von chirurgischer Sauberkeit – perfektes Schauspiel, Kintopp, fast wie einstudiert, überraschte mich. Und als sie den Rauch durch ihre Nasenlöcher ausstieß, traf mich der Gedanke, dass sie bewusst daneben geschossen hatte.

„Nein“

„Nein, was?“

„Nein, mein Text beginnt nicht mit einem Ersten Satz. Außerdem…“

„Außerdem verstehst du nicht, warum ich gerade danach frage?“

„Richtig“

„Deine Verstocktheit ist zum Kotzen. Weißt du woran das liegt? Tagelang sitzt du alleine zuhause, ohne mit jemanden zu sprechen, trinkst Wodka – flaschenweise -, und schließlich klopfst du irgendetwas in die Tastatur deines Laptops. Ich weiß nicht. Irgendein krankes Spiel ist das, in das du alle Leute rund um dich hineinziehst. Du nennst das Literatur, Schreiben, Kunst – dabei kotzt du nur deine Angst und dein Selbstmitleid heraus. Hast du schon jemals über jemand anderen geschrieben, als über dich selbst? Du bist ein Versager, der sich nur noch daran aufrichtet, dass ich dich in Stich gelassen hätte. Sicher wärst du ein guter Trickbetrüger, Immobilienmakler, Werbetexter, Jurist oder Finanzberater. Du bist aber ganz sicher kein Schriftsteller. Du bist, ich weiß nicht wie oft ich es dir sagen muss: ALKOHOLIKER. Du trinkst, IMMER. – und diesmal sage ich es dir zum letzten Mal.“


bottom of page